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Gesundbeten und Krankreden, oder: Wie man die EU besser nicht unterstützen sollte

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Sie klingen so hübsch und sympathisch, die Namen, unter denen sich die neuesten Apologien der Europäischen Union präsentieren: “Europäische Republik”,  “postnationale Demokratie” – wer wollte da dagegen sein unter uns Kosmopoliten und Pro-Europäern? Der zukunftsfrohe Schwung dieser Konzepte ist zumeist gepaart mit einem ziemlich radikalen Programm, was das Bestehende betrifft: Weg mit dem Rat der Europäischen Union! Er muss weg, weil der Nationalstaat weg muss; und der Nationalstaat muss weg, weil die Nation weg muss. Die Nation muss weg, weil sie die Ursache aller europäischen politischen Krankheiten ist. Der Glaube an sie ist die causa efficiens von Krieg, Zerstörung, Diskriminierung, Kolonialismus, Ausbeutung und Ungleichheit.

Ulrike Guérot und Robert Menasse haben diese Perspektive in zwei erfolgreichen Büchern ausgebreitet. „Der neue Bürgerkrieg“ heißt das eine, geschrieben von der deutschen Politikwissenschaftlerin Guérot von der Universität Krems. Das andere, betitelt „Der Europäische Landbote“, ist ursprünglich bereits 2012 und 2015 in 2. Auflage erschienen und stammt von dem österreichischen Schriftsteller Menasse, der in diesem Jahr für seinen EU-Roman „Die Hauptstadt“ den Deutschen Buchpreis erhalten hat.

Ein gutes, aufgeklärtes, soziales Europa, darin sind beide sich einig, ist nur postnational zu denken. Aber wie soll man sich das vorstellen?

Josephinismus und Massendemokratie

Menasse lässt uns darüber weitestgehend im Unklaren. Dazu könne man momentan ohnedies nicht viel sagen. Wenn die postnationale Demokratie einmal heraufdämmerte, würde etwas so unerhört Neues entstehen, dass wir es mit unseren bescheidenen, vom Nationalstaat kontaminierten intellektuellen Mitteln noch nicht einmal erahnen können. Warten wir doch ab!

Was dem Propheten des postnationalen Zeitalters gleichwohl vorschwebt, ist eine sehr österreichisch anmutende Kombination von Josephinismus und Massendemokratie. Die aufgeklärte Bürokratie, repräsentiert durch die von Menasse als Lichtalben gepriesenen Vertreter der Kommission, würde gemeinsam mit einem Parlament regieren, dessen Repräsentanten die europäischen Bürgerinnen in ihrer Eigenschaft als Angehörige von Regionen wählen. Guérot setzt auf die althergebrachte parlamentarische Demokratie, die sie als „republikanisch“ anpreist. Beide legen großen Wert darauf, sich vom amerikanischen Modell der „Vereinigten Staaten“ abzugrenzen, das sie als nationalistisches, die hässliche Fratze des alten Europa tragendes Auslaufmodell betrachten. (You wish…).

Wenn man diese neue Loyalität zur Union näher betrachtet, entdeckt man sofort, dass dieser Pro-Europäismus eine fragwürdige Segnung ist. Er ist abstrakt und halbgebildet. Und er ist sogar ein wenig gefährlich.

Nur die Region

Die Abstraktheit fällt bei Menasse auf. Die Nation sei eine verfluchte Fiktion, die Region das Echte. Die Letztere gebe über unsere wahre Identität den Ausschlag.

Aber stimmt das denn? Sowohl Nation als auch Region sind Formen, sich Gemeinschaft einzubilden (© Benedict Anderson). Menasse kommt die Region bloß deswegen „authentisch“ vor, weil sie wohl ein wenig harmloser ist als die Nation. Regionen sind klein und zersplittert. Zum gemeinsamen und effektiven Widerstand gegen die Zentralgewalt sind sie weniger fähig als ein Nationalstaat. Die Region ist lieb. Man erkennt sie an lokalen Produkten und traditioneller Tracht. Ihre kulinarischen Reiz verleihen ihr offenbar Realität. Sie ist der Ort der „authentic cuisine“.

Die postnationale Demokratie soll nach Menasse dennoch ein Sozialstaat sein. Aus welchen Quellen die dafür vorausgesetzte enorme soziale Solidarität sprudeln soll, wenn nicht aus dem Glauben an den Wert gemeinsamer Anstrengungen, der sich vor dem Hintergrund eines „Narrativs“ vermitteln lässt, bleibt unerfindlich. Die postnationale Solidarität ist wohl die Solidarität der reinen praktischen Vernunft. Eine solche mag man fordern. Aber es bleibt unklar, weshalb eine Solidarität diesen Typs auf Europa begrenzt sein soll. Wird hier schon wieder Afrika vergessen?

Die postnationale Demokratie soll einer gemeinsamen Sprache nicht bedürfen. Es sei doch eine nationale Fixierung, darauf zu insistieren! Aber wie sollen die Leute sich untereinander verständigen? Ach ja, im Parlament gibt es Übersetzungsdienste. Der Verzicht auf die Sprache impliziert, dass die Bürgerinnen nicht mitreden.

Während Abstraktheit das Markenzeichen Menasses ist, zeichnet sich Guérot durch einen aufdringlichen Hang zum Selbstwiderspruch und durch demonstrativ zur Schau getragene Halbbildung aus. Wir überwinden den europäischen Nationalstaat. Laut Guérot benötigen wir dazu ein neues Hambacher Fest: Freiheit, Einheit, Volkssouveränität. „Einheit“ sei dem „exit“ entgegenzuschmettern. So wird die Suche nach der Europäischen Nation zum Subtext des Buches, das dem nationalen „Ungeist“ den Europäischen „Geist“ entgegensetzen will. Aber der Geist sieht dem Ungeist zum Verwechseln ähnlich.

Das große einheitsstiftende Prinzip, das bei Guérot unermüdlich wiederholt wird, sei die Wahlrechtsgleichheit. Das europäische Parlament werde nicht in allgemeiner und gleicher Wahl gewählt. Man pausiert und fragt sich, was sie damit meint, und vermutet, dass sie das Fehlen einer einheitlichen Wahlordnung bemängelt. An anderen Stellen gewinnt man den Eindruck, dass sie womöglich die unverhältnismäßige Überrepräsentation der kleinen Länder aufs Korn nimmt – eine sehr deutsche Klage! Doch dann findet man wieder die Bemerkung, dass die „Stimmengewichtung in eine zweite Kammer“ gehöre. Meint Guérot, dass das Europäische Parlament mit qualifizierter Mehrheit entscheidet? Der Leser bleibt ratlos.

Schön, aber unwahr

Was geschieht in diesen Wunderwerken der politischen Publizistik? Erstens wird die Union gesundgebetet. Zum Zwecke ihrer Genesung werden viele gute Worte gemacht. Die europäische Integration sei ein Emanzipationsprozess. Wie schön, aber wie unwahr zugleich! Die Union hat nichts dazu beigetragen, dass wir uns über unsere gegenseitige durch marktwirtschaftliche Beziehungen vermittelte Abhängigkeit hätten erheben können. Der wirtschaftliche Druck, der auf uns lastet, ist immer drückender geworden. In dieser Hinsicht sind wir durch Europa nicht freier geworden. Die alte Ikone der „Republik“ wird beschworen, um den Mangel an politischer Einbildungskraft zu kaschieren, an dem wir Europäer schon längst – und nicht erst seit 1989 – kranken. Menasse will gar in den brav arbeitenden und gut ausgebildeten Europäerinnen und Europäern eine neue Klasse sehen, die alle Klassengegensätze in sich aufgehoben hat und Europa ins Reich der Freiheit führen wird – etwas, das das Proletariat in Osteuropa vermittels der „Partei“ uns schon so erfolgreich vorgemacht hat.

Bei beiden Publizisten werden alte Ideale ausgegraben, die der Welt relativ geschlossener und keineswegs immer freundlicher Gemeinschaften entstammen. Auf die europäische Gesellschaft passen sie schon deswegen nicht. Die Anrufung von Gemeinschaft fungiert als ein Gebet, das gesprochen wird, um eine  Erlösung heraufzubeschwören, zu der die realen Voraussetzungen fehlen. Die Erlösung kann es nur im Schein geben, d.h. im schönen Schein der Sätze, mit denen die einschlägigen Pamphlete gefüllt werden. Dieses Proeurpäertum ist zuvörderst ein ästhetisches Phänomen.

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn das Gesundbeten nicht auch durch Krankreden vorbereitet würde. Das macht Guérots Buch so besonders ärgerlich. Sie behauptet, in Europa schwele ein Bürgerkrieg, und zwar zwischen den antieuropäischen Populisten und den proeuropäischen Kosmopoliten. Seltsam. Ich kann weit und breit keinen Angehörigen des proeuropäischen Schutzbundes erkennen. Ich selbst gehöre jedenfalls nicht dazu, würde mich aber freiwillig melden, wenn es ihn gäbe. Auf den Straßen Wiens wird nicht geschossen, keiner meiner Bekannten ist bislang wegen seiner Opposition zur Regierung verhaftet worden.

Von einem Bürgerkrieg kann also keine Rede sein. Aber der Begriff lässt sich vortrefflich dazu heranziehen, um Europa krank zu reden. Solche rhetorischen Winkelzüge verwenden normalerweise Rechtsradikale, um uns auf eine Katastrophe, wie etwa „den großen Austausch“, aufmerksam zu machen, die sich angeblich vor unseren Augen vollzieht und wir die wir bloß noch nicht benennen konnten („Jetzt wissen wir’s“). Solche Tricks sind gefährlich. Sie reden uns etwas ein und anästhesieren unsere Urteilskraft.

Es geht doch heute nicht um die Existenz der Union, sondern darum, welche Rolle sie künftig spielen soll. Die Frage stellt sich dafür in der Tat mit großer Dringlichkeit. Gesundbeten hilft da nichts. Krankreden ist umso gefährlicher.

Ulrike Guérot, Der neue Bürgerkrieg: Das offene Europa und seine Feinde (Berlin: Ullstein, 2017).

Robert Menasse, Der europäische Landbote: Die Wut der Bürger und der Friede Europas (2d ed., Herder: Freiburg, 2015).


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